Der Vorsitzende des 7. Strafsenats des OLG München hat mitgeteilt, dass der Senat beabsichtigt, das Strafverfahren gegen alle Angeklagten, außer dem in Untersuchungshaft befindlichen Müslüm Elma, abzutrennen und zu unterbrechen. Eine solche Unterbrechung könnte, mit der gerade verabschiedeten Gesetzesänderung, bis mindestens Juni ausgedehnt werden. Die Verteidigung aller Angeklagter hat diesem Vorgehen scharf widersprochen. Eine Entscheidung des Gerichts wird am Freitag den 27.03.2020 erwartet.
Gegen den in Untersuchungshaft befindlichen und als „Rädelsführer“ angeklagten Müslüm Elma will der Senat allerdings ab dem kommenden Montag ohne weiteres weiterverhandeln.
Der Vorsitzende Richter Dr. Dauster begründet dieses geplante Vorgehen damit, dass für den immerhin seit 5 Jahren in deutscher Untersuchungshaft befindlichen Müslüm Elma „der staatliche Strafanspruch“ „besondere Priorität“ habe. Das bedeutet, der Senat will Müslüm Elma um jeden Preis in Untersuchungshaft behalten und so schnell wie möglich aburteilen.
Die „besondere Priorität des staatlichen Strafanspruchs“ soll dabei rücksichtslos gegenüber der massiven Gefährdung des Gesundheitszustandes des Angeklagten durchgesetzt werden. Müslüm Elma hat in der Türkei insgesamt 20 Jahre unter schlimmsten Haftbedingungen und Folter in Gefängnissen zugebracht. Er wurde aus dem türkischen Gefängnis nur entlassen, weil er schwerstkrank war. Die nunmehr 5-jährige Untersuchungshaft in Deutschland hat seine Gesundheitssituation weiter angespannt. Allein aufgrund seines Alters, er ist 60 Jahre alt, der langen Inhaftierung und der Vorerkrankungen gehört er zur Risikogruppe, die im Falle einer Infektion einen besonders schweren Verlauf zu erwarten hat. Bei Betroffenen dieser Risikogruppe ist gegebenenfalls trotz intensivmedizinischer Behandlung die Gefahr eines tödlichen Ausgangs des Krankheitsverlaufes konkret gegeben.
Bereits der Verbleib in Untersuchungshaft stellt für Müslüm Elma eine konkrete Gefährdung seiner Gesundheit dar. Es ist offensichtlich, dass die Inhaftierung ein besonderes Infektionsrisiko bedeutet: in Gefängnissen sind sehr viele Menschen auf engstem Raum eingesperrt, sie teilen sich die vorhandenen Räumlichkeiten und können ihre Sozialkontakte nicht auswählen oder gar vermeiden. Die Ansteckungsgefahr unter solchen Bedingungen ist extrem hoch. Durch die weitere Durchführung der Hauptverhandlung wird diese Gefahr nochmals gesteigert: der regelmäßige Transport in einem Gefangenentransporter, in dem jeden Tag zahlreiche Personen befördert werden, der Aufenthalt in den Verwahrzellen des Justizgebäudes, die über keine Fenster zur Lüftung verfügen und in denen täglich viele Gefangene eingeschlossen und zu den Gerichtssälen bzw. anschließend wieder in die JVA transportiert werden, der Verhandlungssaal, in dem immer noch mindestens 15 Personen während der Verhandlung anwesend sein werden und der ebenfalls nicht über Fenster, sondern nur über eine Klimaanlage verfügt.
Warum will der Senat Müslüm Elma dieser Lebensgefährdung aussetzen?
Die Corona-Krise macht den Gerichten zwar Schwierigkeiten, es gibt aber Wege, diese zu überbrücken. Ein neugeschaffenes Gesetz gibt die Möglichkeit, die bereits jetzt mögliche Unterbrechung der Verhandlung bis zum 14. April, noch um mindestens zwei Monate zu verlängern. Es könnte also ohne irgendein Risiko für die Hauptverhandlung ab sofort die Hauptverhandlung unterbrochen werden und erst im Juni weiterverhandelt werden.
Allerdings würde sich in diesem Fall die Frage stellen, ob eine weitere Untersuchungshaft für Müslüm Elma, nach bislang 5 Jahren Dauer, noch verhältnismäßig wäre. Der Senat müsste also prüfen, ob der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden müsste. In einer Situation, in der praktisch europaweit Ausgangssperren verhängt und die Grenzen geschlossen sind, besteht bei einem Menschen, dem in der Türkei überdies Haft und Folter droht, keinerlei Fluchtgefahr. Es kann dem Senat bei der Entscheidung über die Abtrennung demnach nicht um die Sicherung der Hauptverhandlung aus Angst vor einem „Platzen“ des Verfahrens gehen.
Offensichtlich geht es dem Senat also um etwas anderes, nämlich darum, unter den Bedingungen der coronabedingten Notstandssituation das Urteil gegen Müslüm Elma ohne weitere Störungen zu fällen, also auch ohne Öffentlichkeit, denn Besucher können unter den momentanen Bedingungen an der Hauptverhandlung praktisch nicht teilnehmen, womöglich ohne seine langjährigen Strafverteidiger*innen, denn diese können unter Umständen gar nicht zur Verhandlung anreisen und ohne die Mitangeklagten und ihre Verteidiger*innen, die in den vergangenen beinahe vier Jahren die gemeinsame Verteidigung mitgeführt haben.
Folgerichtig kündigt der Vorsitzende Richter auch gleich an, einen weiteren „ortsansässigen“ Anwalt gegen den Willen des Angeklagten Elma beizuordnen, einen sogenannten „Zwangsverteidiger“. All diese Griffe in die Trickkiste der Stammheimer Terroristenjagd dienen offensichtlich nicht der Sicherung des Verfahrens, sondern ausschließlich dazu, die Verteidigung zu schwächen und ein schnelles Urteil unter faktischem Ausschluss der Öffentlichkeit zu erzwingen.
Die gemeinsame Verteidigung der Angeklagten im Münchner Kommunistenprozess wegen mutmaßlicher Unterstützung der TKP/ML, die dem Senat bislang eine schnelle Aburteilung im Sinne Erdogans unmöglich gemacht hat, verurteilt dieses Vorgehen. Es ist ein Skandal, dass das OLG München die Coronakrise zur Beschneidung von Beschuldigtenrechten ausnutzt und dafür bereit ist, den Angeklagten Müslüm Elma in Lebensgefahr zu bringen.