Am zweiten Prozesstag des Verfahrens gegen 10 Angeklagte wegen angeblicher Mitgliedschaft in der TKP/ML wurde im Wesentlichen die Anklage verlesen.
Zu Beginn applaudierten die wiederum zahlreich anwesenden solidarischen Zuschauer_innen minutenlang lautstark für Angeklagten. Kurz vor Verhandlungsbeginn betrat daher der Vorsitzende Richter Dr. Dauster schon mal den Saal und drohte, „alle“ räumen zu lassen, wenn keine Ruhe herrsche
Wie vom Gericht zugesagt wurden heute – anders als am ersten Verhandlungstag – die Angeklagten nicht gefesselt transportiert, es erfolgten auch keine Körperkontrollen, bei denen sie sich nackt ausziehen mussten. Am ersten Verhandlungstag, hatten einige Angeklagte hiergegen passiven Widerstand geleistet und deutlich gemacht, dass sie eine solche Behandlung nicht dulden würden. Das Gericht hatte daraufhin im Laufe der Woche mit dem bayerischen Justizministerium verhandelt und erreicht, dass auf Weisung „von oben“ Hand und Fußfesseln auf dem Transport von der JVA ins Gericht nur noch eingesetzt werden sollen, wenn Angeklagte sich gewalttätig verhalten.
Vor der Mittagspause monierte der Vorsitzende, dass die Angeklagten am ersten Verhandlungstag untereinander Kontakt aufgenommen hätten. Er legte ihnen nahe, sch so zu erhalten, als würden Trennscheiben zwischen ihnen bestehen, die in diesem Verhandlungssaal ja „leider“ nicht vorhanden seien. Sollten sie weiterhin Kontakt zueinander aufnehmen, würde er sie in jeder, auch in kurzen, Verhandlungspausen in die Gewahrsamszellen verbringen lassen.
Auch der Nachmittag wurde überwiegend mit der Verlesung der Anklagen verbracht. Nach Vortrag der Anklageschrift gegen die neun Angeklagten, die sich bereits seit mehr als 14 Monaten in Deutschland in Untersuchungshaft befinden, wurde gesondert die Anklage gegen Mehmet Yesilcali verlesen, der erst im März von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert wurde. Er erhielt seine Anklage erst vor wenigen Wochen; danach wurde das gegen ihn geführte Verfahren ganz kurzfristig zu dem Großverfahren hinzuverbunden.
Gegen Ende des Verhandlungstags beantragte die Verteidigung die Auswechselung eines der Gerichtsdolmetscher. Grund dafür ist neben massiver qualitativer Mängel seiner Dolmetscherleistung, dass er als Dolmetscher für den Kontrollrichter beim Amtsgericht München, der für die JVA München-Stadelheim zuständig ist, die Post zwischen den dort inhaftierten vier Angeklagten und ihren Verteidiger_innen kontrolliert. Dass jemand, der den gesamten Postverkehr zwischen Angeklagten und Anwälten liest, und daher detaillierte Kenntnisse über die Verteidigerstrategie hat, für das Gericht dolmetscht, ist nach Auffassung der Verteidiger_innen nicht zulässig.
Die Befangenheitsanträge der Verteidigung gegen den Vorsitzenden sollen erst am kommenden Montag entschieden werden. Der Sitzungsbeginn wurde daher auf 13.30 Uhr verschoben, da die Verteidiger_innen noch Gelegenheit haben, bis 9 Uhr auf eine Stellungnahme der BAW zu reagieren und das Gericht danach Zeit für seine Entscheidung benötigt.
Am ersten Prozesstag hatte eine Menschenrechtsdelegation aus der Türkei den Prozessauftakt besucht. Teilnehmer_innen waren Parlamentarier_innen, NGO-Mitgliedern und Rechtsanwält_innen. Eine der Delegationsteilnehmer_innen, die Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung, Frau Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı, wurde unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Türkei festgenommen worden und befindet sich zur Zeit noch in Haft. Grund für die Inhaftierung ist, dass sie, gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Persönlichkeiten sich solidarisch für einen Tag zur Herausgeberin der oppositionellen Zeitschrift Özgür Güldnem erklärt hatte. Sie arbeitet als Forensikerin und hatte Gutachten zu Menschenrechtsverletzungen in Cizîr (Cizre) verfasst.
Wir werden das Strafverfahren gegen Frau Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı ebenso beobachten, wie die Delegationsmitglieder im Anschluss an den Münchner Prozessauftakt zusicherten, „unser“ Verfahren zu beobachten.
Der nächste Verhandlungstermin findet am kommenden Montag den 27.06.2016 ab 13.30 Uhr statt.