Prozesserklärung von Musa Demir und: Provokation der Bundesanwaltschaft
Am vierzehnten Verhandlungstag wurde nur halbtätig verhandelt, da am Nachmittag eine Besichtigung des neuen Hochsicherheitsgerichtssaals in der JVA München Stadelheim durchgeführt wurde. Zu den Plänen des OLG, die Verhandlung aus der Innenstadt heraus in das abgelegene Gefängnis zu verlegen, wird zu einem späteren Zeitpunkt berichtet werden. Es ist ein weiterer Versuch, die Angeklagten wider besseres Wissen als gemeingefährliche Terroristen abzustempeln und die Öffentlichkeit von der Prozessbeobachtung im dortigen Verhandlungsbunker abzuschrecken.
Die Sitzung begann mit der Verfügung des Vorsitzenden, dass trotz der nach dem letzten Verhandlungstag von den Angeklagten gestellten Befangenheitsanträgen, weiterverhandelt werden soll. Es war deutlich zu spüren, dass der Vorsitzende vom Vorwurf der Befangenheit getroffen war.
Die Verteidigung stellte weitere Anträge zur Ablösung der Gerichtsdolmetscher, die sich zur ordnungsgemäßen Übersetzung unfähig, und teilweise gegenüber den Angeklagten voreingenommen gezeigt hatten. Wegen erneuter Schwierigkeiten der Übersetzung verzögerte sich dies erneut.
Zum 15.09.2016 lag dann auch ein Beschluss anderer Richter des OLG München vor, mit dem die Befangenheitsanträge als unbegründet verworfen wurden.
Im Anschluss verlas der vorsitzende Richter die Anordnung eines umfangreichen Selbstleseverfahrens. Das Gericht beabsichtigt damit, zahlreiche wichtige Beweismittel in den Prozess einzuführen, ohne diese öffentlich in der Hauptverhandlung zu verlesen. Der normalerweise geltende Grundsatz, dass alles was das Gericht zur Grundlage seines Urteils machen will, mündlich verhandelt werden muss, wird so durchbrochen. Diese Regelung wurde eigentlich für umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren geschaffen, um z.B. stundenlange Verlesung von Kontoauszügen ohne inhaltlichen Aussagen, abkürzen zu können.
Hier aber gehören zu diesen Beweismitteln zum einen Dokumente, aus denen sich der Aufbau und die Struktur der TKP/ML und ihrer Gliederungen sowohl in der Türkei als auch in Europa ergeben sollen, also Satzungen, Erklärungen etc. Diese wurden teilweise von türkischen Behörden auf Anfrage der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt.
Zum anderen sollen im Selbstleseverfahren Unterlagen mit Ermittlungsergebnissen türkischer Behörden zu Anschlägen und Angriffen, die der TKP/ML von der Anklage zugerechnet werden, zum Gegenstand des Prozesses gemacht werden. Die Verteidigung erhob Widerspruch gegen diese Anordnungen und wird diesen zeitnah begründen.
Im Anschluss konnte der Angeklagte Musa Demir seine Prozesserklärung vortragen, die wir hier dokumentieren.
Im weiteren Verlauf des Verhandlungstages versuchte die Bundesanwaltschaft die Stimmung im Verhandlungssaal zu kippen, und Handlungsmöglichkeiten der Angeklagten einzuschränken. Zunächst gab es eine Beschwerde beim Vorsitzenden, es habe in einer Verhandlungspause, in der die Angeklagten im Saal bleiben durften, eine Kontaktaufnahme mit Besuchern gegeben. Der Vorsitzende drohte daraufhin an, im Wiederholungsfall die Angeklagten in jeder Pause in die Zellen bringen zu lassen. Daraufhin nutzten die Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft die nächste Pause zur Eskalation. Ein Angeklagter hatte seinem 6-Jährigen Sohn auf der Zuschauertribüne zugewunken und wohl ein paar Worte zugerufen. Bei den Polizeikräften wurde also interveniert, diese versuchten weiteren Kontakt zwischen Vater und Kind zu verhindern – es entstand ein wüstes Gedränge und Geschimpfe. Als die Bundesanwaltschaft dies mit hämischem Grinsen begleitete, kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit der Verteidigung.
Es wurde erneut deutlich, dass die Bundesanwaltschaft diesen Prozess nicht nur juristisch führen will, sondern mit der wiederkehrenden Forderung nach repressiver Handhabe der ohnehin drastischen Sicherheitsvorkehrungens versucht, die Angeklagten auch psychisch anzugreifen und zu schwächen. Um so wichtiger ist die dauerhafte öffentliche Beobachtung des Prozesses.