Erster Prozesstag: Kämpferische Angeklagte und viel Solidarität
Von lautstarken Solidaritätsbekundungen begleitet war der erste Verhandlungstag im § 129b-Verfahren beim Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht München. Mehrere hundert Zuschauer_innen waren angereist und hielten eine kraftvolle Demonstration vor dem Gerichtsgebäude ab, die auch im Verhandlungssaal zu hören war. Die Zuschauerränge waren überfüllt.
Die Angeklagten machten bereits beim Betreten des Gerichtssaales deutlich, dass sie trotz über 14 Monaten Untersuchungshaft unter besonders schwierigen Haftbedingungen nicht gebrochen sind. Mit erhobenen Fäusten und Parolen rufend betraten sie den Gerichtssaal, und wurden von den Prozessbesuchern lautstark begrüßt.
Die Verhandlung hatte bereits mit erheblichen Verzögerungen begonnen, weil der Transport der Angeklagten zum Gericht von zahlreichen Schikanen durch Wachtmeister und Polizei begleitet war, die zunächst mit den Verteidiger_innen besprochen werden mussten. Einige Angeklagte mussten sich vor dem Transport vollständig entkleiden, obwohl dies vom Vorsitzenden Richter nicht angeordnet worden war. Einige Angeklagte wurden nicht nur mit an den Körper gefesselten Händen (Herstellerwerbung: “Der Fesselgürtel sichert und fixiert extreme Straftäter durch einen Körpergürtel, an dem die Handfessel mit Daumenarretierung und Doppelsicherung angebracht ist. Die Handfesseln können über Sicherungsbänder freigegeben werden, um z.B. ED-Behandlungen vornehmen zu können. Bei Widerstandshandlungen kann die Handfessel sofort wieder an den Körper des Festgenommenen gezogen werden. Zusätzliche Fußschlaufen können einsatzbedingt ergänzt werden und gehören zum Lieferumfang.”), sondern auch mit Fussfesseln transportiert. Sie weigerten sich, dieses entwürdigende Spiel freiwillig mitzumachen, so dass sie zum Auto und in das Gerichtsgebäude getragen werden mussten. Der Vorsitzende Richter gab allerdings ganz zu Anfang des Prozesses an, er werde sich bei „höheren Stellen“ dafür einsetzen, dass diese Praxis in Zukunft unterbleibt, weil er keine Weisungsbefugnis gegenüber den JVA hat.
Zu Beginn der Verhandlung wurde festgestellt, dass die Mikrofone der Angeklagten nicht freigeschaltet waren. Stellungnahmen der Angeklagten wären demnach im Gerichtsaal nicht zu hören gewesen, sondern nur von den Dolmetschern. Auf einen Antrag der Verteidigung, diese freizuschalten, damit auch die Äusserungen der Angeklagten öffentlich Gehör finden, äußerte die Bundesanwältin Ritzert, dass es dafür kein Bedürfnis gäbe, weil ja die Gerichtssprache deutsch und es ausreichend sei, wenn alle die Übersetzung hören könnten. Damit hat die BAW – wie schon in verschiedenen Stellungnahmen im Zwischenverfahren – deutlich gemacht, dass sie die Angeklagten nur als Objekt des Verfahrens begreift und nicht als mit Rechten ausgestattete Personen.
Große Probleme traten am ersten Prozesstag auch beim Dolmetschen auf. Die VerteidigerInnen bemängelten mehrfach auf Hinweis der Vertrauensdolmetscher_innen der Angeklagten, grobe Fehler. Manche Wortbeiträge wurden gar nicht übersetzt oder verfälscht bzw. völlig unverständlich. Die Unzulänglichkeiten gipfelten darin, dass einer der Gerichtsdolmetscher_innen laut in den Saal frage: „Wie soll ich das übersetzen?“
Die Anklage konnte an diesem Verhandlungstag noch nicht verlesen werden, weil die Angeklagten Mehmet Yeşilçalı und Müslüm Elma über ihre Verteidiger_innen Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter Dauster verlesen liessen und diese mit eigenen Erklärungen weiter ausführten. Der Angeklagte Yeşilçalı war erst im März diesen Jahres aus der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden. Das gegen ihn geführte Strafverfahren wurde erst danach mit dem Verfahren gegen die übrigen nun Angeklagten verbunden. Dadurch hatten er und seine Verteidiger_innen die deutsche Anklage erst Anfang April und die ins türkische übersetzte Anklage erst Anfang Mai erhalten. Eine sachgerechte Vorbereitung auf die Hauptverhandlung war daher überhaupt nicht möglich, auch weil er wie alle Angeklagten in diesem Verfahren Sonderhaftbedingungen, wie Trennscheibe auch bei Verteidigerbesuchen und einer zeitaufwändigen Postkontrolle auch der Verteidigerpost ausgesetzt ist. Ein einfaches Anwaltsschreiben kann da schon mal zwei bis vier Wochen unterwegs sein. Der Vorsitzende Richter hatte trotzdem die Anklage zugelassen und den Beginn der Hauptverhandlung beschlossen und dabei gleichzeitig die Haftbedingungen aufrechterhalten.
Der Angeklagte Müslüm Elma lehnte den Vorsitzenden Richter Dauster ebenfalls ab. Die Anklage wirft ihm vor, sich über einen Tatzeitraum von mehr als zwölf Jahren als „Rädelsführer“ mitgliedschaftlich in einer ausländischen terroristischen Vereinigung betätigt zu haben. Hierfür droht eine Mindeststrafe von 15 Jahren. Er war, wie ein Großteil der Angeklagten in diesem Verfahren im April 2015 in Untersuchungshaft genommen worden. Bis zum Januar 2016 benötigte die Bundesanwaltschaft, um eine Anklageschrift von mehr als 300 Seiten zu fertigen, obwohl die vorliegenden Ermittlungen bereits seit 2006 geführt werden. Die Staatsanwaltschaft nahm sich also mehr als acht Monate Zeit, während die Beschuldigten unter Sonderhaftbedingungen in Untersuchungshaft saßen. Diese Anklageschrift wurde vom OLG München übersetzt, die Übersetzung war allerdings so schlecht, dass – natürlich erst auf nachdrückliches Drängen der Verteidiger_innen – eine Neuübersetzung erstellt werden musste. Diese neuübersetzte Anklage erhielt Müslüm Elma erst am 4. Mai 2016. Trotzdem wurde ihm und seinen Verteidiger_innen nur eine Frist zur Stellungnahme zu dieser Anklageschrift bis zum 20. Mai eingeräumt. Eine Fristverlängerung wurde mit dem absurden Argument abgelehnt, aufgrund der Untersuchungshaft gelte ein besonderes Beschleunigungsgebot, die Interessen des Angeklagten, hätten daher zurückzustehen. Die Verteidigung dagegen argumentierte, wenn die Staatsanwaltschaft so lange zur Fertigung der Anklage benötigt und das Gericht durch die falsche Auswahl schlechter Dolmetscher Monate verstreichen lässt, dann müssten die Angeklagten gegebenenfalls aus der Untersuchungshaftentlassen werden. Die Beschränkung bzw. Verhinderung der Möglichkeit des Angeklagten, sich angemessen gegen die Anklage zu verteidigen, sei allerdings unzulässig. Begleitet wurden die Versuche der Verteidigung Elmas von Schikanen durch die JVA, die beispielsweise den Zugang zu dem Computer mit den Ermittlungsakten nur in einer anderen Zelle möglich machte, so dass die Akteneinsicht immer nur nach Kontrolle und in festen Zeitblöcken möglich war. Einmal wurde Müslüm Elma bei einem Verteidiger_innen-Besuch verboten, einen Stift mitzunehmen, um sich Aufzeichnungen zu machen. Der Vorsitzende Richter Dauster wies alle Anträge der Verteidigung Elma auf Fristverlängerung oder Erleichterung der Haftbedingungen ab, um die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu sichern und schnellstmöglich die Hauptverhandlung zu ermöglichen. Die Verteidigung führt zu diesem Verhalten des Abgelehnten Vorsitzenden Dauster aus: „Dies lässt für Herrn Elma keinen anderen Schluss zu, als dass es diesem unter Inkaufnahme der Verletzung des verfassungsrechtlich verbürgten Subjektstatus des Antragstellers allein darum ging, eine Verzögerung des Verfahrens zu verhindern um die Haftfortdauerentscheidung zu gewährleisten.“
In einer persönlichen Ergänzung zum Antrag seiner Verteidiger_innen führte der Angeklagte Müslüm Elma aus:
All das erweckt bei uns zu Recht den Eindruck, dass der Vorwurf des „Terrorismus“ für alles ausreicht und auch Ihre Haltung zu mir bestimmt. Der Begriff des „Terrorismus“ passt auch gut in das imperialistische Recht. Der ist für die Imperialisten und ihre Justiz das „Allheilmittel“, das gegen die gerechten und legitimen Kämpfe eingesetzt wird.
Wer ist schuldig? Wir nicht! Wer ist im Recht? Das wird die Zeit zeigen. Wir glauben an die Geduld und an die Gerechtigkeit der Geschichte.
…
Als würden in der Türkei die Rosen der Demokratie und Freiheit blühen und wir würden hier vor Gericht stehen, weil wir sie abgeholzt hätten. Als würden die Kurden nicht seit Generationen verfolgt. Als sei die kurdische Region nicht in ein Blutbad verwandelt worden und würde nicht in Flammen stehen. Als gäbe es keine brutale Unterdrückung der Meinungs- und Gewissensfreiheit. Als würde Erdoğan in seinem Palast und seine Bande ihrer rassistischen Ideologie „Ein Staat, eine Nation, eine Fahne, eine Sprache“ nicht auch noch „nur eine Stimme“ hinzufügen wollen und als würde sie die Mehrstimmigkeit nicht als „Terrorismus“ ansehen. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Bundesanwaltschaft sich mit einigen Folgen beschäftigt hat, aber sich überhaupt nicht für ihre Ursachen interessiert hat. Denn das Drehbuch, das uns hier auf die Bänke zwingt, ist ein gemeinsames Produkt des deutschen und türkischen Staates.Doch auf ein faires Verfahren kann ich nach Ihrer Entscheidung nicht mehr hoffen. Über uns schwebt das Demokratie“-Schwert des heutigen Europas. Dieses Schwert erinnert uns an das Schwert der Osmanen. Ohne Zweifel werden wir unsere Hälse nicht vor diesem Schwert neigen. Wir können Schmerz ertragen. Wir können auch unser Leben lassen. Aber sich Beugen steht nicht zur Diskussion.
Die Hauptverhandlung wird am Freitag den 24. Juni fortgesetzt.