Der 7. und der 8. Hauptverhandlungstag wurden von der Prozesserklärung des als „Rädelsführer“ der TKP/ML angeklagten Müslüm Elma bestimmt.
Auf knapp 60 Seiten nahm er zur Anklage Stellung, die wir hier dokumentieren.
Müslüm Elma begann seine Erklärung damit, aufzuzeigen, in welchem Ausmaß sich die Bundesanwaltschaft die offizielle türkische Sichtweise auf die TKP/ML zu Eigen gemacht hat, in dem sie in der Anklage nur davon spricht, dass der Gründer der TKP/ML, der türkische Revolutionär Ibrahim Kaypakkaya, am 18. Mai 1973 im Gefängnis Diyarbakir/Türkei „verstarb“. Tatsächlich wurde Kaypakkaya in einem türkischen Gefängnis zu Tode gefoltert, was sogar liberale Kreise in der Türkei heute nicht mehr in Frage stellen.
Anschließend setzte er sich u.a. mit der Bedeutung dieses gegen die TKP/ML gerichteten Großverfahrens für die deutsch-türkischen Beziehungen auseinander und bezeichnete es als ein deutsches „Geschenk an den faschistischen türkischen Staat“, kritisierte die direkte Zusammenarbeit der deutschen Justiz mit den türkischen Sicherheitsbehörden und der türkischen Justiz, die sogar „Erkenntnisse“ der Ausnahmezustandsgerichte aus der Zeit nach dem Putsch vom 12. September 1980 den deutschen Behörden übermittelt hatten. Weiter legte er dar, dass die letzten rechtsstaatlichen Elemente unter Erdogan verschwunden sind. Er ging dann zu einer Analyse der Rolle der Türkei und der westlichen Staaten im Nahen Osten, auf die kurdische Frage und auf den Charakter des türkischen Staates über. Er legte dar, dass der rassistische Charakter des türkischen Staates Teil seiner Gründungsideologie und Geschichte ist – an der auch das Deutsche Reich durch Unterstützung des Völkermordes an den Armenier_innen einen aktiven Anteil hatte. Er beschrieb die Verfolgung und Unterdrückung der Minderheiten und aller fortschrittlicher und revolutionärer Menschen und Gruppen in der Türkei von ihrer Gründung bis heute. Beklemmend war die Aktualität der Erklärung: Zwischen den beiden Hauptverhandlungstagen, an denen sie abgegeben wurde, fanden in der Türkei am 15. Juli 2016 der versuchte Militärputsch und der Gegenputsch der AKP statt. Darauf reagierte Müslüm Elma in der Hauptverhandlung am 22. Juli 2016 mit einer ergänzenden Erklärung. Er beschrieb den Militärputsch und den Gegenputsch als einen Kampf zwischen den in der Türkei herrschenden Cliquen und betonte in diesem Zusammenhang erneut den faschistischen Charakter des türkischen Staates. Vor diesem Hintergrund stünde die Legitimität des gegen die zehn angeklagten Kommunist_innen mehr denn je in Frage.
Weitere Angeklagte kündigten ebenfalls Erklärungen zur Anklage an, die an den kommenden Tagen folgen werden.
Den „Putsch nach dem Putsch“ durch das Erdoğan Regime nahm auch die Verteidigung zum Anlass, den in der Hauptverhandlung vom 8. und 11. Juli 2016 gestellten Antrag auf Einstellung des Verfahrens ergänzend zu begründen und erneut das Gericht aufzufordern, beim Bundesministerium der Justiz auf eine Rücknahme der erteilten Verfolgungsermächtigung hinzuwirken. Es wurde in dem Antrag dargelegt, dass aufgrund des „Putsches nach dem Putsch“, wozu u.a. die Verhängung des Ausnahmezustandes, die Suspendierung der Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Entlassung und Festnahme von bisher ca. 65.000 Staatsbediensteten gehört, die Türkei unter Staatspräsident Erdoğan faktisch zu einer Diktatur geworden ist und dass sie damit noch mehr als vor dem Putsch kein Staat ist, der die Menschenwürde achtet und durch das deutsche Strafrecht geschützt werden sollte. Weiter wurde dargelegt, dass Erdoğan die Fortführung dieses Mammutverfahrens gegen angebliche Mitglieder einer nur in der Türkei als terroristisch eingestuften Organisation, denen außer der Mitgliedschaft keinerlei (Gewalt-)Taten in Deutschland vorgeworfen werden, nur als Unterstützung seiner Person bzw. Politik verstehen kann und dass dies deshalb eine indirekte Stärkung Erdoğans bedeutet (siehe Presseerklärung vom 21.07.2016 und Ergänzung des Antrages auf Einstellung).
Weiter antwortete die Bundesanwaltschaft auf die am fünften Verhandlungstag gestellten Anträge der Verteidigung, drei Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft erneut zu übersetzen.Obwohl auch das Gericht wiederholt seinen Unmut über die mangelhafte Dolmetschleistung zeigte, behauptet die Bundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme allen Ernstes, es hätte bisher keine gravierenden Probleme mit den Gerichtsdolmetschern gegeben. Damit zeigte die Bundesanwaltschaft erneut, dass sie reflexartig und aus Prinzip Anträgen der Verteidigung entgegentritt und es nicht als problematisch ansieht, dass unsere Mandant_innen Teile der Hauptverhandlung nicht verstehen. Unfreiwillig komisch wurde die Situation allerdings, weil dieses Festhalten der Bundesanwaltschaft an den Gerichtsdolmetschern durch diese nicht angemessen gewürdigt wurde: Vielmehr glitt der Vortrag grade dieser Stellungnahme zeitweise in ein Chaos ab, weil der zuständige Gerichtsdolmetscher noch nicht einmal in der Lage war, die vorübersetzte Stellungnahme simultan abzulesen.
Beide Verhandlungstage fanden wieder vor vollen Zuschauerrängen statt. Am 15. Juli 2016 während der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt, deren ca. 300 Teilnehmer_innen sich mit den Angeklagten solidarisierten.
Die Hauptverhandlung wird kommenden Montag, 25. Juli um 9.30 Uhr fortgesetzt.
Angekündigt ist eine Erklärung von Frau Dr. Büyükavcı.
Am Freitag, 29. Juli wird erst ab 13.30 verhandelt.