Ablehnung des Einstellungsantrages – Befangenheitsantrag der Angeklagten
Am 13. Hauptverhandlungstag beendete der Vorsitzende die am letzten Verhandlungstag begonnene Verlesung der Ablehnung des Einstellungsantrags der Verteidigung.
Der bereits ausführliche Antrag der gesamten Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens bzw. Vorlage an des Justizministerium zur Überprüfung der sogenannten Verfolgungsermächtigung zielt darauf, offen zu legen, dass der Widerstand gegen den türkischen Staat nicht nur legitim ist, sondern im Gegenteil, die Strafverfolgung gegen Gegner dieses Systems eine undemokratische, illegitime Unterstützung eines sich immer stärker autoritär-diktatorisch entwickelnden Regimes, das selbst vor der direkten Unterstützung des islamischen Staats nicht zurückschreckt. Der § 129b StGB ist so konstruiert, dass eine Strafverfolgung nur dann stattfindet, wenn das Justizministerium entscheidet, dass dies den aussenpolitischen Interessen Deutschlands entspricht.
Nach der Rechtsprechung kann allenfalls ein Tatgericht, wie hier das OLG München, eine Verfolgungsermächtigung nur dann prüfen, wenn diese willkürlich erteilt wurde, ansonsten hat sich das Gericht der Entscheidung des Ministeriums zu beugen oder kann bei Bedenken, diesem die Sache zur Überprüfung vorlegen. Die Verteidigung hat daher mit dem Einstellungsantrag versucht, die Frage, ob der türkische Staat, die momentane Erdogan-Regierung, insbesondere nach den Verschärfungen der letzten Monate, für Deutschland schützenswert sein kann, zuzuspitzen. Mit der Kernaussage des Einstellungsantrags „Der türkische Staat ist kein geeignetes Schutzobjekt“ bestreitet die Verteidigung daher die Legitimität und Rechtmäßigkeit der gesamten Anklage.
Der Senat vermeidet tatsächlich bei seiner Ablehnung des Einstellungsantrages diese Frage und begründet seine Entscheidung vordergründig liberal mit dem Argument, es komme gar nicht drauf an, ob eine Vereinigung staatliches Unrecht bekämpfe, wenn die Gruppierung selbst verwerflich handle. Von terroristischen Aktivitäten sei jedenfalls immer dann auszugehen, wenn die Vereinigung „bewusst auch objektiv unbeteiligte Dritte in Mitleidenschaft zieht“ (Seite 23 des Beschlusses). Die Charakterisierung der TKP/ML, deren Mitgliedschaft den Angeklagten hier zur Last gelegt wird, als terroristisch, wird wesentlich aus einem „in den Anklageschriften genannten Sprengstoffanschlag auf eine Diskothek in Incirlik nahe des dortigen US-Luftwaffenstützpunktes“ gestützt, „bei dem Angehörige der TIKKO in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2005 einen in einer Handtasche versteckten zeitgesteuerten Sprengsatz mit Splitterwirkung unter einem Sofa abgelegt haben sollen, dessen Detonation nach Ermittlungen der türkischen Behörden zum Tod oder zu schwerwiegenden Verletzungen bei Besuchern der Diskothek geführt hätte“. Der Senat behauptet also, dass es sich um einen vollendeten Anschlag gehandelt habe, oder jedenfalls um einen, der gegen den Willen der Handelnden nicht zu einer Vielzahl von Toten und Verletzten geführt hat.
Der einzige Hinweis auf eine Täterschaft der TKP/ML ist ein bei istanbul.indymedia eingegangenes Bekennerschreiben . In diesem wird allerdings die öffentliche Darstellung der türkischen Behörden, der Anschlag sei auf die Verletzung oder Tötung von Menschen gerichtet gewesen, vehement bestritten. Es wird vielmehr dargestellt, bei dem Anschlag habe es sich um eine Warnung gehandelt, eine Gefährdung von Menschenleben von Zivilisten sei ausgeschlossen gewesen.
Diese Darstellung, dass sichergestellt gewesen sei, dass keine Menschen gefährdet würden, wird durch die in unseren Akten enthaltenen Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden gestützt.
Diese Ermittlungen ergaben, dass die Bombe erst abgelegt wurde, nachdem für die mutmaßlichen Täter der Anschein bestand, dass keine weiteren Gäste mehr anwesend waren, und diese offensichtlich nicht eine Menschenmenge treffen sollte.
Auch die Authentizität der angeblichen Bekennung durch die TKP/ML scheint sogar von den türkischen Behörden bezweifelt worden zu sein. Wegen dieses Anschlages wurde nämlich am 16.03.2005 gegen ein angebliches Mitglied einer anderen türkischen Oppositionsgruppe, der MLKP, Anklage erhoben. Allerdings endete die anschließende Hauptverhandlung mit einem Freispruch mangels Beweisen. Das freisprechende Urteil enthält keinen Hinweis darauf, dass das Gericht Anhaltspunkte dafür hat, dass der Anschlagsversuch tatsächlich der TKP/ML zuzurechnen ist. Insbesondere findet sich in dem Urteil kein Hinweis auf eine Tatbekennung durch die TKP/ML. Auch in einem Bericht des BKA wird in Bezug auf diesen Anschlag ausgeführt, er sei in der von den türkischen Behörden übersandten Auflistung von Anschlägen der TKP/ML nicht verzeichnet.
Die Richter haben also in ihrem Beschluss die Aktenlage falsch dargestellt und völlig kritiklose, bereits in sich widersprüchliche Behauptungen staatlicher Verfolgungsstellen der Republik Türkei als Grundlage für ihre Entscheidung herangezogen. Die Angeklagten haben daher durch ihre Verteidiger_innen einen Befangenheitsantrag gegen alle an dieser Entscheidung des Senats beteiligten Richter_innen gestellt. Über diesen Antrag wird vermutlich noch in der kommenden Verhandlungswoche entschieden. Die Verteidigung führt darin aus:
„Denn zum einen geht die Darstellung von einem vollenden Anschlag aus, der so noch nicht einmal in der Anlage behauptet wird. Zum anderen ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang eindeutig, dass die von den türkischen Behörden vorgenommene Bewertung des Anschlages als Mordversuch an Zivilisten übernommen wird, ohne sich auch nur minimal mit dieser Einordnung widersprechenden Ermittlungsergebnissen, die sich aus der Akte ergeben, auseinanderzusetzen. Dies wäre um so notwendiger gewesen, als zwar auf die angebliche Bekennung zum Zwecke der Zuordnung des Anschlages zur TKP/ML Bezug genommen wird, nicht aber auf die darin eindeutig enthaltene Erklärung, die Bombe sei so gebaut gewesen, dass keine Menschenleben gefährdet worden seien.“
Am 23.09.2016 wird erneut eine Solidaritäts-Kundgebung für die Angeklagten vor dem Oberlandesgericht durchgeführt.