An den Hauptverhandlungstagen vom 27.05. und 02.06.2020 plädierte der Vertreter der Bundesanwaltschaft. Er beantragte, den Angeklagten Elma wegen Rädelsführerschaft und die Angeklagten Aktürk, Dr. Aydin, Bern, Dr. Büyükavci, Demir, Pektas, Solmaz, Ugur und Yesilcali jeweils wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig zu sprechen und folgende Freiheitsstrafen zu verhängen:
gegen den Angeklagten Yeşilçalı: 3 Jahre und 6 Monate,
gegen die Angeklagten Dr. Aydin, Bern, Dr. Büyükavci, Demir und Solmaz: jeweils 4 Jahre,
gegen die Angeklagten Aktürk und Ugur: jeweils 4 Jahre und 9 Monate,
gegen den Angeklagten Pektas: 5 Jahre und
gegen den Angeklagten Elma: 6 Jahre und 9 Monate.
Die BAW beantragte darüber hinaus, den Haftbefehl gegen Müslüm Elma außer Vollzug zu setzen, ihn also aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Selbst die Bundesanwaltschaft konnte also nicht mehr die Augen vor der nun unfassbare fünf Jahre andauernden und unverhältnismäßigen Untersuchungshaft von Müslüm Elma verschließen.
Doch selbst hierauf hat das Gericht noch nicht reagiert, insbesondere hat es keinerlei Anstalten gemacht, Müslüm Elma auf freien Fuß zu setzen. Insofern muss auch deutlich darauf hingewiesen werden, dass das Gericht nicht an die Anträge der BAW gebunden ist. Warum der Verfolgungseifer des Gerichts ausgerechnet in Bezug auf die Person von Müslüm Elma anscheinend größer ist als der der Bundesanwaltschaft ist unerfindlich. Bei allen anderen Angeklagten war es umgekehrt: dort ist die Bundesanwaltschaft stets der Absicht des Gerichts diese aus der Untersuchungshaft zu entlassen entgegen getreten.
Gleichwohl waren das Plädoyer und die Anträge der BAW in gewisser Weise überraschend. Nach dem bisherigen Prozessverhalten des Vertreters der BAW hätte man eine scharfe Abrechnung mit den Angeklagten und ggf. auch mit den Verteidiger_innen erwarten können. Stattdessen bemühte er sich in erster Linie zu bestreiten, dass es sich um politisches Verfahren und eine politische Anklage gehandelt hat und gestand an mehreren Stellen zu, dass sich Vorwürfe aus der Anklage nicht so bestätigt hatten, wie sie angeklagt waren. Offensichtlich hat der immer wieder öffentlich gemachte Vorwurf, dass dieses Verfahren objektiv eine direkte Unterstützung des Erdogan-Regimes darstellt und sich gegen den legitimen Widerstand gegen dieses Regime richtet, die BAW politisch in die Defensive gebracht. Deren Vertreter musste auch im Plädoyer gegenüber den Angeklagten eingestehen:
„Zugunsten der Angeklagten ist zu werten, dass sie ihre Handlungen vor dem Hintergrund der seit Jahren repressiven und aggressiven Politik der türkischen Regierung, die u.a. gegen die kurdische Bevölkerung und Linksoppositionelle gerichtet ist und zu vielen Todesopfern und Verletzen geführt hat, begangen haben.
Ihr Engagement ist nach ihrem eigenen Werdegang von der Überzeugung geprägt, dadurch, wenn auch nur als Fernziel, die Lebensbedingungen der kurdischen Bevölkerung zu verbessern. Ihr Handeln war somit auch von ideellen Zielen motiviert, denen sie persönliche Interessen hintenangestellt haben.“
Insbesondere auch vor diesem Hintergrund sind die geforderten Strafen ein Schlag ins Gesicht der oppositionellen Kräfte in der Türkei und ihrer Unterstützer_innen in Deutschland. Für die Bundesanwaltschaft bleibt der Widerstand gegen das Erdoganregime „kriminell“ und „terroristisch“.
Ab dem 16.06.2020 wird nunmehr die Verteidigung plädieren, danach erfolgen die letzten Worte der Angeklagten. Mit einem Urteil ist wahrscheinlich in der ersten Juli-Hälfte zu rechnen.
Wegen der Corona-Pandemie ist die Zuschauerzahl im Gerichtssaal des OLG München auf 7 Zuschauer_innen und 6 Pressevertreter_innen beschränkt. Damit ist die Öffentlichkeit überaus stark beschränkt, ein weiterer Einschnitt in die demokratischen Rechte der Angeklagten und eine Entpolitisierung des Verfahrens.